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urban signs

8 Plakate
je ca. 50 cm x 225 cm

urban signs
fluc, Praterstern

Eröffnungsrede Iris Meder
fluctuated images
: wechselnde Bilder im flüchtig hier ansässigen fluc, an einem Ort des Übergangs, der das Improvisierte formuliert – am Praterstern, einem Ort der Bewegung.
Bewegung im Tagesablauf der Passanten, Veränderung in der Belegung der Geschäftslokale, Bewegung in der städtebaulichen Entwicklung. Der Ort der umsatzstärksten Billa-Filiale von Wien. Ort des Transits, des Wechsels zwischen verschiedensten Verkehrsmittel und des schnellen Essens. Ort unterschiedlichster Sprachen, Herkünfte und Zielorte, mit dem fluc als Oase von spröder Heimeligkeit. Ein Reservat unterschiedlichster urbaner Versatzstücke und ein System einander überlagender heterogener Zeichensysteme, wie es das städtische Leben der Moderne kennzeichnet.
Die Vorstellung der Stadt als sprachenähnliches Zeichensystem ist so alt wie die Moderne.
Vor 120 Jahre entstand in Wien die physikalische Wahrnehmungstheorie von Ernst Mach: Das Ich verlor seine unveränderliche, scharf begrenzte Einheit und löste sich in einzelen Sinneseindrücke auf. Fritz Mauthner führte in seiner 1901 erschienenen ‘Sprachkritik’ Machs fragmentierte Wirklichkeitssicht auf die sprachliche Ebene zurück: Das Wort ist nicht mehr eindeutiges Gehäuse der Dinge, sondern nur mehr subjektives Erinnerungszeichen.
In den sechziger Jahren untersuchte Roland Barthes die komplexen Funktionen von Zeichen und Begriffen: ‘Wir glauben in einer praktischen Welt der Verwendungen, der Funktionen und der totalen Domestikation des Objekts zu leben und sind in Wirklichkeit, durch die Objekte, auch in einer Welt des Sinns, der Vernunftgründe und der Alibis: Die Funktion bringt das Zeichen hervor, aber dieses Zeichen wird in das Schauspiel einer Funktion zurückverwandelt. Ich glaube, gerade diese Umkehr der Kultur in Pseudonatur kann die Ideologie kann die Ideologie unserer Gesellschaft definieren.’
Auch die Arbeiten von Andrea Ressi beschäftigen sich mit der Abivalenz von Zeichen und ihrer semantischen Wahrnehmung im urbanen Umfeld. Die Semantik dieser Zeichen oszilliert zwischen Mikro- und Makrostruktur, zwischen abstrakter Form und zeichenhafter Symbolik, zwischen biologischen und artifiziellen Strukturen. Abstrakte grafische Schemata und Bewegungsdiagramme wie Verkehrspläne und Fluglinien legen sich über die reale dreidimensionale Stadt und die Landschaft, beeinflussen ihre Wahrnehmung und relativieren damit ihre Eindeutigkeit. Diese Perspektivenverschiebung beeinflußt auch die subjektive Erfahrung: Die imaginäre Überblicksdarstellung stellt sich vor den traditionellen Blick des Passanten. Die Zusammensetzung dieser heterogenen Versatzstücke und unterschichtlichen Perspektiven zu wehselnden, mehrdeutigen Systemen obliegt dem einzelnen Betrachter.
‘urban signs’, Andrea Ressi’s Arbeit für das fluc, thematisiert die Landmark-Funktion abstrakter Firmenlogos. Manche überlagern sich mit kartografischen Symbolen, etwa der Baum im ‘Spar’-Logo, das in den sechziger Jahren von Raymond Loewy entworfen wurde. An den ortlosen Orten, den non-places der modernen Stadt, die immer wieder den Ausgangspunkt für Andrea Ressis Arbeiten bilden, sind diese Logos auch abstrahierte Orientierungspunkte, die der lokalen Präzisierung dienen. Sie prägen die Wahrnehmung urbaner Strukturen und haben bereits Eingang in das kulturelle Gedächtnis gefunden. Als abstrahierte Abstraktionen rufen sie ihrerseits unterschiedlichste Assoziationen hervor.
Anstelle der Corporate-Identity-Farben der Konzerne tritt hier eine zurückgenommene, gebrochene Farbpalette. Anstelle des Firmennamen stehen Begriffe, die die Ambivalenz des Ortes thematisieren – nowhere, void, transit, vacant, anonymous, temporary. Diese Begriffe lassen sich zu Versatzstücken von Sätzen zusammenfügen oder als Einzelwörter lesen. Wie reale Geschäftsreklame wenden sie sich nach außen, zum Passanten, und fordern mit ihrer verschobenen Semantik zu einer neuen Wahrnehmung der eignen Umgebung auf.
Iris Meder, 2002

Rezension artmagazine Nina Schedlmayer
Semiotik am Praterstern
Aus welchen Gründen waren Sie zuletzt am Praterstern? 1. Um umzusteigen, 2. Um sonntags in der rot-gelben Supermarktfiliale gemeinsam mit allen anderen WienerInnen Eier und Milch einzukaufen, 3. Um den seit Mai eröffneten abgefuckt-coolen Club fluc zu besuchen?
Es ist fast unvorstellbar, dass jemand aus anderen Gründen diesen Ort aufsucht. Andrea Ressi spricht im Zusammenhang mit dem Praterstern lieber von einem Nicht-Ort. Ein transitorischer Ort, ein Durchzugsort, an dem man sich hauptsächlich an Zeichen, genauer: Logos orientiert. Diese hat Ressi in ihrer Ausstellung im fluc verfremdet, ihre Typographie für andere Wörter verwendet: Statt des Namens der unsäglichen zuckerlrosa Konditoreikette steht da plötzlich "Anonymous", der Bankomat wird "vacant" und das omnipräsente Coca Cola zu "non places". Ähnliches kennt man natürlich von den launigen T-Shirts, die etwa die Hautcreme unseres Vertrauens in "Niveau" verwandeln. Andrea Ressis Verfremdungen sind weitaus komplexer: Sie nehmen die Logos am Praterstern auf und transferieren ihre Namen in ebenfalls auf den Ort bezogene Begriffe. An der daraus resultierenden Signifikat-Signifikant-Verwirrung hätte die französische Semiotik wahrscheinlich ihre helle Freude gehabt.
Ressis Plakate sind in den Oberlichten des zur Gänze durch Glasfenster einsehbaren Lokals angebracht und befinden sich so eigentlich im öffentlichen Raum. Neben dem doppelten Verweis auf den (Nicht-)Ort Praterstern passen sie sich insofern der Umgebung an, als sie in ihrer Farbgebung äußerst reduziert sind, meist in einem fahlen Grün oder Blau gehalten und dadurch leicht vergilbt aussehen, wie irgendwie auch der ganze Praterstern; das gewellte Papier tut sein übriges, um den Anschein zu erwecken als würden die Arbeiten schon ewig da hängen. Fast erschrickt man beim Anblick der links und rechts neben dem fluc platzierten "richtigen" Werbetafeln, die plötzlich zum Kotzen glatt wirken.

Nina Schedlmayer, in "artmagazine" 2002

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