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microterritories

Series of Works
Acrylics/Canvas, Acrylics/MDF, Collage

Die Komplexität urbaner Topografien -
Zu den „Microterritories“ von Andrea Ressi

Walter Seidl

Andrea Ressi nimmt in ihren Arbeiten eine malereibasierte Strukturanalyse topografischer Komplexe vor, die auf urbane Situationen und deren Amalgam-hafte Architekturzusammensetzungen rekurrieren. Unterschiedliche Städte globaler Natur dienen hierbei als Ausgangspunkt, um die Dynamik bautechnischer Entwicklungen zu untersuchen und die Rasterhaftigkeit von Stadtstruktur oder Gebäudekomplexen in einer malerischen Zeichensprache aufzulösen. Die Auseinandersetzung mit Piktogrammen und deren minimalistischen Symbolik gilt hierbei als charakteristisch für Ressis malerischen Gestus und dessen Definition architektonischer Grundformationen. Den Gegenstand von Ressis Untersuchungen bilden urbane Agglomerate, die von städtischen Gesamtansichten und deren geometrischen Aufteilungen bis zur Analyse der architektonischen Beschaffenheit von Shopping Malls und anderen öffentlichen Gebäudekomplexen reichen und dabei die Ähnlichkeiten von städtebaulichen Maßnahmen in Marshall Mc Luhan’s „glocal village“ des 21. Jahrhunderts verorten. Ein zentraler Aspekt betrifft die Rasterung und Definiertheit substantieller Muster, die das Architekturbild der Gegenwart prägen und die Frage nach zunehmenden Ähnlichkeitsprofilen und einem Verlust an Individualitätsmerkmalen suggerieren. In Anlehnung an Fredric Jameson’s postmodernes und postindustrielles Subjekt, das durch ständiges Reisen einen Verlust traditioneller Kartografien erfährt, beschäftigt sich Ressi mit jenem Erfahrungshorizont, der durch die transkulturellen Erfahrungen in den Vordergrund tritt, und zu einem neuen „Mapping“ von Terrains führt. Das Resultat kann, je nach geografischem Ausgangspunkt und Translokation, dokumentarischen, manipulativen oder abstrahierenden Charakter haben, der die Flüchtigkeit der jeweiligen Wahrnehmung widerspiegelt und individuelle Repräsentationsmodelle generiert. Viele der dargestellten Stadtstrukturen lassen sich auf persönliche Erfahrungsmomente der Künstlerin zurückführen, die anhand eigener Translokationsmuster die Muster global versetzter Strukturelemente nachspürt. Welchen Stellenwert besitzen aktuelle Stadtformationen und wie lassen diese sich innerhalb global-kapitalistischer Entwicklungen einordnen? Können noch individuelle Erscheinungsbilder festgemacht werden oder folgen Städte weltweit einem Diktat Architektur-bedingter Vorgaben? Diesen Fragen geht die Künstlerin in ihren malerischen Tableaux nach, die oftmals am Computer generierte digitale Welten und deren real-architektonische Ausprägungen mit dem Primat künstlerischen Ausdrucks definieren.

Andrea Ressis künstlerische Sprache bezieht sich auf eine minimale Farbgebung, die die schwarze Rasterung der Architektursprache mitformuliert und mit farblichen Akzenten spezielle Formationen innerhalb der wiedergegeben Stadtmuster und Aktionszonen hervorhebt. Der modellhafte Charakter von Ressis Malereien fordert eine synthesenhafte Darstellung ubiquitärer Architekturmomente ein, die den Alltag gegenwärtiger Lebensmodelle definieren. Navigationsmuster, die an mobile Apps erinnern, zeigen innerhalb städtischer Ausprägungen, wie die Funktion von geografischen Verortungen die Grenzen urbanen Handelns sowie die Aufenthaltsbedingungen des Individuums bestimmen. Dazu verwendet Ressi den Begriff der „Microterritories“, die anhand von spezifischen urbanen Zonen einen mikroterritorialen Handlungsspielraum einräumen. Definiert werden Zonen, die ein spezielles Handlungs- und Fortbewegungsszenario ergründen, das den darin agierenden AkteurInnen meist nicht bewusst ist und nur von einer Vogelperspektive aus festgemacht werden kann. Dies führt wiederum auf städteplanerische Maßnahmen zurück, die einst am Reißbrett entstanden und mittlerweile per Computer errechnet werden und von Ressi in kunsthistorisch tradierter Weise auf die Leinwand rücktransformiert werden. Dadurch setzt sich die Künstlerin mit den konstanten Verschiebungen zwischen analogen und digitalen Welten auseinander und bestätigt die fortwährende Gültigkeit beider Visualisierungstechniken. Das Hauptaugenmerk gilt dabei jenen aus der Architektursprache abgeleiteten visuellen Codes und wie sich diese in das Alltagsbild als städtedefinierende Zeichen und Symbole einschreiben. Der mikroterritoriale Piktogrammcharakter wird dabei auf ein allgemein gültiges Level urbaner Gesamtansichten angewandt und zeigt, wie sich diese in einem globalen Wetteifer an nivellierenden Beschaffenheitsformationen unterordnen. Die Frage nach der Individualität jeglicher architektonischer Bestrebungen wird dabei zu einem zentralen Thema, das in den einzelnen Arbeiten auf den Prüfstand gestellt wird. Ressi thematisiert dadurch jenes Verhältnis zwischen einer individuell geglaubten Inszenierung städtischen Lebens und Handelns in einer vorformulierten Realität fremdbestimmten Einflusses, der den BewohnerInnen von Städten die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit vor Augen führt. Dies zeigt sich in den von Ressi konstruierten Symbolikräumen, die die Räume urbanen Handelns mit all den ihnen inhärenten Restriktionen aufgreifen.

Die von Ressi zur Disposition gestellten Stadt- und Lebensräume umfassen Shohizinda, eine der bekanntesten Nekropolen Zentralasiens in Usbekistan, Kronstadt in Rumänien, das Stadtbild von Antwerpen, , die Struktur einer Gated Community für die Elite in der Industriemetropole Gurgaon sowie die Slums von Mumbai – Dharavi – in Indien, das jordanische Flüchtlingslager Al Zaatari und Arcosanti, jene Experimentalstadt auf der Basis einer Stadtutopie, die 1970 von dem Architekten Paolo Soleri in der Wüste von Arizona errichtet wurde, weiters die Isle of Dogs, jene Halbinsel im East End von London. Die Mischung aus westlicher und fernöstlicher Stadtsemiotik zeigt auf, wie die Wirkungsweisen urbaner Entwicklungen eine Gleichschaltung globaler Institutionsmechanismen hervorrufen. Ressi bezieht sich dabei auch auf „Terrains vagues“, dem Brachland, ein Begriff, der in den 1990er Jahren vom spanischen Architekt, Historiker und Philosophen Ignasi de Solà-Morales begründet wurde. Dadurch führt sie jene Debatte von Zentrum und Peripherie der 1990er Jahre fort und zeigt auf, wie sich diese mittlerweile ad absurdum geführt hat. Was einst als Distinktionsmerkmal einer Ästhetik der Differenz gegolten hat, wird heute in einen allumfassenden Diskurs der Gleichheit überführt und wirft Fragen nach der Gültigkeit aktueller Stadtformationen auf, die trotz politischer, ökonomischer und sozialer Ungleichheiten einer Nivellierung globaler Definitionsmerkmale unterworfen werden. Der Nimbus einer Eigenständigkeit weicht mittlerweile der Norm einer euro-amerikanisch zentrierten Vorgabe globaler Funktionsmechanismen von Flughäfen, Gated Communities, Shopping Malls, und wie diese ihren Einfluss auf eine architektonische Stadtästhetik geltend machen. Während die 1990er Jahre noch eine Individualität städtischer Behauptungsmodalitäten gelten ließ, die sich einer alternativen Stadtkonstituierung verpflichtet fühlten, zeigt die Präsenz von globalen Konzernen der Gegenwart eine Gleichschaltung der Konstruktionen von urbanen Gefilden, und dies unabhängig von deren wirtschaftlichem und politischem Status.

Andrea Ressi greift die Merkmale dieser neoliberalen Entwicklungen auf und führt diese auf die Grundstrukturen piktografischer Ausdrucksmöglichkeiten zurück. Die Simplizität ihrer Bildsprache verweist auf die Komplexhaftigkeit der realen Beschaffenheit urbaner Zonen. Dass diese Entwicklungen bereits historisch begründet sind, zeigt sich auch in der „Dymaxion World Map“ von Buckminster Fuller aus dem Jahr 1927, deren netzartige Struktur und Ausbreitung von Ressi verwendet wird um in den einzelnen Dreiecksstrukturen „Microterritories“ einzufügen, die Gated Communites, Shopping Malls, Hafen- und Flughafengelände oder Slums zeigen und dadurch die zunehmende Ausbreitung sowie Austauschbarkeit städtischer Strukturen und die damit einhergehende Verschmelzung urbaner Territorien thematisieren. Diese Modulhaftigkeit greift die Künstlerin auch in den MDF basierten Arbeiten „globalcapitalmediatraffictransitcontrol“ auf, die such auf jene vorhin aufgezählten Stadt- du Funktionseinheiten beziehen und Puzzle-ähnlich variiert werden können. Diese Arbeit ist als Installation angelegt, wobei die einzelnen urbanen Funktionszonen auf der einen Seite und die dazugehörigen Termini auf der Rückseite zu sehen sind. Dadurch erweitert Ressi die malerische Komponente in eine architektonische und zeigt, wie sich Begrifflichkeiten mit topografischen Elementen verschränken. Eine eigene Serie wiederum setzt sich mit der Struktur von Shopping Malls auseinander und wie diese Mikroterritorien als Nukleus städtebaulicher Überlegungen geltend gemacht werden können. Dadurch thematisieren Ressis Arbeiten jene Dynamisierung gegenwärtiger Architekturformationen und deren Parallelisierung in einem globalen Kontext. Gleichzeitig gehen sie der Frage nach, wie sich urbane Zonen in den nächsten Jahrzehnten ausbreiten und sich dadurch Städte immer mehr aneinander annähern und den ruralen, einst autonom geglaubten Raum für sich einnehmen. Die universelle Gleichschaltung städtischer Konstruktionen und deren Funktionen bestimmen zunehmend die Konstituiertheit der Stadt des 21. Jahrhunderts, in der die Nivellierung von Brachland einerseits eine Aufwertung hervorrufen soll, andererseits aber die Austauschbarkeit von Leben und Handeln durch architektonische Eingriffe befördert wird.

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