multiple landscape
multiple landscape I (domino)
28x je 20/40cm
Acryl/MDF
multiple landscape II (cubes)
9 Kuben je 30/30/30cm
Acryl/MDF
multiple landscape
Zeitdaten im Landschaftsindex - Zur Domino-Malerei von Andrea Ressi
Werner Fenz
In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben jene Begriffe, die Elemente von Natur oder Landschaft bezeichnen, allmählich eine neue Interpretation erfahren. Dieser Reflexionsakt fußte auf neuen kulturellen, sozialen und ökologischen Bedingungen. In der Kunst stand diesen veränderten Fakten zunächst eine formal variantenreiche, von den geistigen Grundlagen jedoch eher einförmige Tradition der Naturabstraktion gegenüber. Bild und Bedeutung der Landschaft lösten sich in sinnlich zur Schau gestellter Farbmaterie und in einem vegetabilischen Linienduktus auf. Dieser Naturerfahrung antwortete eine jüngere Künstlergeneration mit einer anfangs noch eher unbestimmten, bald darauf, unter Verwendung konzeptuelle Ansätze und des damals noch frischen Mediums Video, präziser formulierten Raumerfahrung. Unter zahlreichen anderen Faktoren entfaltete sich ein neues Verhältnis zwischen Objekt und Subjekt, ein Beziehungsgefüge, das den Blick auf das Gegenüber trotz der Abkehr von der imaginären und/oder materiellen Buntheit verfärbte. Auch wenn Anselm Kiefers Märkischer Sand, stellvertretend für tiefgreifende Veränderungen, politische Geschichte repräsentiert und nicht mehr geologische Formationen, liegen entscheidende Wurzeln des Paradigmenwechsels bereits in der Pop Art der sechziger Jahre. Hier wurde jener ästhetische Index eingeführt, der sowohl den naturalistischen als auch den expressionostischen Zugriffsduktus durch den flächig abstrahierten reproduzierenden ersetzte. Unter diesen Voraussetzungen veränderte sich jeglicher Status von Natur auf das Entschiedenste.
Mit dem Aufkommen der weltweit via Internet verbreiteten Motiv-Archive weitete sich der reproduktive Faktor auch auf den Naturalismus stereotyper Natur-Vorgaben. Nicht diese verfügbaren Abbilder, wohl aber der durch Kürzel und Logos angereicherte bzw. durch sie bestimmte landschaftliche Raumeindruck bilden den Ausgangspunkt für einen von Andrea Ressi vorgenommenen Bild- und Blickwechsel: die Logos fügen sich zu Landschaften, sie sind die Landschaften. Kürzel aus Schrift und Bild, flächenhaft im malerischen und im farbigen Duktus, ersetzen die Zeichen für landschaftliche Formationen in ihrer räumlichen (vom Vordergrund zum Hintergrund) und in ihrer plastischen (vom Baum zum Gebirgsstock) Dimension. Über fragmentarische Flächenstrukturen, von der Corporate Identity der Marke über das Liniensystem von Spielflächen bis hin zum Schema üppiger Verkehrswege-Verflechtungen, baut sich Landschaftliches auf. Im Transfer der Bildzeichen von einer isolierten Repräsentation von Bedeutungen in eine verschränkte der Repräsentation von ausformulierten Behauptungen wirft Ressi über strukturphänomenologische Verfahren die Frage nach veränderten Wahrnehmungsbedingungen auf. Diese Frage weitet sich dadurch zu einem Fragenkomplex aus, dass bildliche Sprachzeichen als reale optische Markierungen auf ein kulturelles und künstlerisches Sujet projiziert werden, das uns bisher über fixierte und dadurch vertraute ikonische Codes zur Verfügung stand. Welche bedeutenden Verschiebungen im laufend angereicherten Pool der Informationen vor sich gegangen sind und mit welchen Auswirkungen auf unsere Orientierungsfähigkeiten, kristallisiert sich als Thema dieser neuesten Arbeiten heraus. So wird beispielsweise in einem Austausch der Erfahrungsinhalte dem räumlichen Weltbild das flächige gegenübergestellt-der Raumsicht die Aufsicht. Diese folgt als exemplarisches Synonym den vielerorts praktizierten Verschiebungen, in der durch den distanzierten Blick eingespielten Übersicht ebenso wie im zweidimensionalen Gegenüber der Bildschirmoberflächen, deren Bilder in der Alltagspraxis erst durch ein weiterführendes rendering-Verfahren räumlich erweitert werden. Die vorliegenden Landscape Logos weisen neben der Ausbildung eines neuen Interface zusätzlich eine transitorische Komponente auf, die Gestalt ist nicht definitiv festgelegt. Permanente Veränderungen in Form und Ausdehnung sowie in der zeichenhaften Zusammenstellung (der Komposition) sind potentiall in jeder Präsentationsform möglich, da es sich um einzelne, additiv zu verwendende Tools handelt. In der hier gewählten Veröffentlichungsform – das malerische Original ist durch im Computer erzeugte Bausteine ersetzt – präsentieren sich unterschiedlichen Gestalten und verschiedenartige Bild-Anordnungen. In einer trotz der Variationsmöglichkeiten kompromisslosen Weise tritt uns das Medium der Malerei in einer veränderten Disposition gegenüber. Durch eine auf gegenwärtige Erfahrungswerte abzielende Konzeption aus der eigenen Tradition befreit, kann die Malerei an Gestaltungsprozessen teilnehmen, die radikal veränderte Untersuchungsergebnisse ermöglichen. Der nachvollziehbar ausdifferenzierte Werkzeug-Charakter des Mediums dient unter anderem zur methodisch untermauerten Feststellung, dass sich die tradierten Kategorien und Darstellungsmuster im Feld der Kunst auflösen müssen, wenn diese mit dem Anspruch auftritt, Zeitprotokolle anzufertigen und daher die permantenten, tiefgreifenden Veränderungen des ästhetischen Potentials aufgreift, um eine verweisendes Bezugssystem herzustellen.
Werner Fenz in LICHTUNGEN – Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik 89/XXIII/2002